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Ulrike
Nach langer Krankheit gestorben am 7 Oktober 2021
Wir haben viel geträumt, aber es wurde ein Albtraum
Sehr alt wollten wir werden, und dann einen Garten haben. Kaninchen sollte es dort geben, und eine Bank wünschten wir uns. Wir zwei alten Leute, so unser Traum, wollten dort sitzen, und ihnen von unseren Leben erzählen.
Wir haben viel geträumt.
Alle Hauptstätte in Europa wollten wir besuchen, nach Südfrankreich an das Meer, nach Skandinavien, um dort die Nordlichter zu sehen.
In Träumen waren wir beide ziemlich gut.
Wir hätten sie leben sollen, diese Träume, diese Wünsche. Denn das Grau des Alltages hüllte uns ein wie Watte, und die allgegenwärtigen Zeitdiebe hatten uns gepackt.
Ulrike machte aus allen das beste, ließ sich nicht unterkriegen, und packte mich beim Kragen, wenn mich die Gespenster der Vergangenheit plagten. Wie Gummibänder zogen sie an mir, und hinderten mich zu leben. Immer wieder richtete Ulrikes Lachen mich auf, ihre Augen sprühten dann vor Leben, und dann war da irgendetwas Namenloses und Unsichtbares, was uns ein Leben lang zusammenhielt. Siebenunddreißig Jahre. Ein halbes Leben.
Zwei Wochen waren wir in Paris. Direkt am ersten Tag führte unser Weg zu der Kathedrale von Notre Dame. Ohne uns mit Worten zu verständigen, entzündeten wir dort eine Kerze. Ein Licht sollte sie sein, das wir in unseren Herzen wiederfinden konnten, wenn es uns einmal schlecht ging. Eine tiefe Vertrautheit war zwischen uns.
Mit Ulrike konnte man Pferde stellen, verrückte Sachen tun, und sie hatte einen großen Spaß dabei. Aber sie konnte auch kämpfen, besonders wenn sie mich verteidigen musste, vor all den Menschen, die mich anders haben wollten. Denn Ulrike wusste, wer ich bin. Es zerriss sie innerlich, wenn sie zwischen Stühlen sitzen musste, dort ihre Familie, und dort ich. Niemanden wollte sie weh tun, und tat dabei sich selber weh.
Ihr großes Herz, ihr weiches Herz, das hielt sie verborgen. Sie musste es beschützten, vor all dem Grauen in der Welt. Ich weiß es noch wie heute, wie sie plötzlich bei einem der grausigen Bilder, die täglich im Fernsehen zu sehen sind, in Tränen ausbrach. Von diesen Tag an sahen wir nur noch selten in den Abgrund eines Nachrichtenkanals.
Ulrike liebte Tiere. Das war auch etwas, was uns beide verband. Mit mir zusammen ins Tierheim zu gehen, um ein armes Kaninchen zu retten, war für sie selbstverständlich, komme was wolle.
Ulrike musste schwer arbeiten. Und diese Arbeit machte ihr körperlich zu schaffen. Aber wie Ulrike so ist, sie hielt solche Dinge verborgen, und klagte selten. Darin war sie sehr tapfer, und diese Tapferkeit wurde auf die Probe gestellt. Denn ein Dämon kam in unser Leben und suchte uns beide heim. Alles schien um uns herum zu zerbrechen, und wie mit Pech bestrichen. Dieses Pech haftete sich an uns, und verließ uns seit dem nie mehr. Ulrike wirkte wie betäubt, versuchte zu lächeln, und scheiterte an den unguten Geistern, die sich einzuschleichen begannen.
Ich wurde krank, ... und Ulrike noch Kränker.
Eine Abwärtsspirale, ein Strudel, der uns beide nach unten riss. Wie eine warme Decke legte sich eine Traurigkeit über unser Leben. Sie erstickte uns beide.
Da waren keine Träume mehr und kein Gedanke mehr an Reisen. Und immer wieder raffte sich Ulrike auf, wie ein Aufbäumen war es, wie ein nicht wissen wollen, nicht akzeptieren wollen. Eines Tages dann tat sich der Schlund der Hölle auf. Er verschlang Ulrike. Er nahm ihr die Liebe, ihr Herz, ihre Seele und sie wurde eine andere Person. Dieser Höllenschlund nahm ihr den Atem. Verzweiflung sprach aus ihren Augen.
Ich konnte nicht helfen, nur da sein, und da sein war nicht genug. Die eigene Frau so zu sehen, war wie durch Feuer laufen, eine Qual, die mich erschöpfte und zerbrach. Der Dämon, hat uns beide besiegt. Er nahm das Leben von Ulrike, und damit auch meines.
Wie ein Schatten ist sie immer bei mir. Der Hauch eines Windes, ein Wispern in der Nacht, und wenn ich alleine bin, kann ich ihre Stimme hören. Ich antworte ihr, ich spreche mit ihr, für mich ist sie nicht tot. Sie war der größte Teil meines Lebens, und wenn ich eines Tages ihre Stimme nicht mehr höre, weiß ich, das auch ich gehen muss.
Ulrike, wir treffen uns. Irgendwann, irgendwo. Du bist nur vorangegangen, um auf unsere Traumbank zu sitzen. Vielleicht in einem wunderschönen Garten. Ich setze mich dazu, und nehmen uns bei den Händen. Über uns wacht der bleiche Schein der Milchstraße, und dann verwandeln wir uns.
Hineingezogen in das Nichts, werden wir zu Sternenstaub.